Am Anfang steht ein Ende: Das Haus, in dem Yasemin und Vito gelebt haben, wird abgerissen und mit ihm Wohnungen, die einmal ein Zuhause waren. Ein buchstäbliches Trümmerfeld nimmt Deniz Ohde zum Ausgangspunkt ihres neuen Romans, in dem sie von einer Beziehung erzählt, die von Gewalt und Missbrauch geprägt ist, und der begleitet wird von der Grundfrage: Warum lässt eine Frau einen Mann nicht los, der ihr offensichtlich nicht guttut? Als sich Vito und Yasemin als Erwachsene wiederbegegnen, schwingt ihre Verbindung aus Kindertagen mit und entzündet sich von Neuem. Schon mit dreizehn Jahren schwärmte Yasemin von dem drei Jahre älteren Nachbarsjungen im Hochhauskomplex, in dem sie aufwuchsen. Doch ihr Rücken ist gebeugt von einer Skoliose, die Wirbelsäule ist nicht aufrecht genug für das Leben. Yasemin muss ins Sanatorium und trägt ein Korsett, das sie nicht nur körperlich einschränkt. Vier Jahre nach ihrem beeindruckenden Debüt „Streulicht“ erzählt die 1988 in Frankfurt a. M. geborene Autorin Deniz Ohde von einer Frau, die sich nicht befreien kann, und die sich trotz lebendiger Erinnerungen und Traumata erneut einlässt auf eine toxische Beziehung. In der Rückschau der Erzählbewegung wird immer klarer: Yasemin steht in einer langen Reihe von Frauen, die über Generationen hinweg Gewalterfahrungen erleiden und weitertragen – und sich nur schwer dagegen wehren können. (A.-D. K.)
Auszeichnungen u. a.: Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung, aspekte-Literaturpreis (2020).
Veröffentlichungen (zuletzt):
– „Streulicht“, Roman, Suhrkamp, Berlin 2021
– „Ich stelle mich schlafend“, Roman, Suhrkamp, Berlin 2024