Es sind nur zwei Sommer, aber die Welt geht dazwischen zu Bruch. Davon erzählt Jan Koneffke in seinem schimmernden Roman über den Schriftsteller Joseph Roth: „Im Schatten zweier Sommer“ heißt er, angesiedelt im Jahr 1914. Im Mittelpunkt steht zunächst die lebhafte Fanny, zukünftige Lehrerin, Tochter eines sozialdemokratischen Schusters, in dessen Haushalt in der Rembrandtstraße 35 der Student Roth 1914 Quartier nimmt. Mit seiner Mischung aus Galanterie, Klugheit und unbedingtem Willen zum Schriftstellerberuf übt der Untermieter aus Galizien eine unwiderstehliche Faszination auf die junge Frau aus – es entspinnt sich eine zarte Liaison, von der sie in ihrem Tagebuch Zeugnis ablegt. Als es sie nach einer abenteuerlichen Flucht 1938 nach Paris verschlägt, begegnet sie dem einstigen Freund, inzwischen ein berühmter Mann, wieder. Fanny ist eine Erfindung von Jan Koneffke, die einen großen Reiz hat: Sie erlaubt ein Porträt Joseph Roths aus einem Seitenwinkel. Zum Auslöser wurde ein kurioser Umstand: Koneffke zog zufällig in die Rembrandtstraße 35. Jan Koneffke, zwischen Wien und Rumänien beheimatet, auch Übersetzer aus mehreren Sprachen, greift in seinem vielgestaltigen Werk immer wieder historische Stoffe auf. (M. A.) 2023 erschien seine Übersetzung von Nichita Danilovs „Die blinden Adler“. Der rumänische Dichter Nichita Danilov gehört zur russischsprachigen Minderheit der Lipowaner (altgläubige orthodoxe Christen). Darstellungen totalitären Wahns setzt er metaphysische Landschaften von stiller Schönheit entgegen, die bevölkert sind von Engeln, Heiligen, Toten und Harlekinen. „Wer Nichita Danilov bisher nicht kannte, möge ihn nun also unbedingt entdecken.“ (Katharina Ferner) (A. LS.)
Auszeichnungen u. a.: Leonce-und-Lena-Preis (1987), Friedrich-Hölderlin-Förderpreis, Stipendium Villa Massimo (1995), Bamberger Poetik-Professur (2001), Grenzgänger Stipendium der Robert Bosch-Stiftung (2007), Uwe-Johnson-Preis, Stipendium Villa Concordia Bamberg (2016), Stipendium des Deutschen Literaturfonds (2018/19), Heinrich-Heine-Stipendium Lüneburg, Robert-Gernhardt-Preis (2022).
Veröffentlichungen (zuletzt):
– „Ein Sonntagskind“, Roman,
Galiani Berlin, 2015
– „Als sei es dein“, Gedichte, Wunderhorn, Heidelberg 2018
– „Die Tsantsa-Memoiren“, Roman, Galiani Berlin, 2020
– „Dudek“, Geparden Verlag, Zürich 2023
– „Im Schatten zweier Sommer“, Roman, Galiani Berlin, 2024
Übersetzungen (zuletzt):
– Mario Fortunato: „Spaziergang mit Ferlinghetti“, Schöffling, Frankfurt a. M. 2011
– Nichita Danilov: „Vulturii orbi. Die blinden Adler“, Gedichte, pudelundpinscher, Linescio 2023